Badische neueste Nachrichten 31.12.1947
Gottfried August Bürger / Zum 200. Geburtstag

Von Prof. Dr. Franz Schultz.
Am 31. Dezember 1947 jährt sich zum 200. Male der Geburtstag Gottfried August Bürgers. Man soll im deutschen Volke dieses Tages gedenken. Die deutsche Literaturgeschichte hat auch hier manches wieder gutzumachen. Bürger war ein freier Geist in jedem Sinne des Wortes. Leben und Dichten verrannen ihm, da die Engherzigkeit und Starrheit der Gelehrten und literarischen Splitter[t]richter seiner Zeit, ihre Gebundenheit an ererbte Vorurteile, ihre Ablehnungsinstinkte, eine nur sich selber verantwortliche Persönlichkeit, wie er es war, nicht gelten lassen wollten. Als Mensch wie als Dichter war er von der Ungehemmtheit, Gelöstheit und Aufgeschlossenheit eines wahrhaft humanen Charakters. Das Menschsein — mitsamt allen Irrtümern und Fehlern — war sein Teil. Seine Dichtungen, zuoberst seine Balladen, leben in dem Element der Bewegung und des Beweglichen. Immer spürt man in ihnen ein heißes Herz, das sich oft kaum genug tun kann im Überschwang des Gefühls.
Der Dichter Bürger verschmäht nach Gehalt und Form das Grelle und Drastische nicht. Es war ihm das aber kein Sensationsbedürfnis: Es muß sein leidenschaftliches Temperament nach außen hin projizieren und so seine Dichtung zum Heilmittel für das Gewoge seines Innern werden lassen. Er sucht nach einer mitfühlenden Menschenbrust und vermeidet in dieser Mitteilung, auch in der fliegenden Darstellung seiner Balladen, alles Papierene und Abgegriffene. Sein Ziel ist die Unmittelbarkeit. Er trug keine Scheuklappen überspannt nationaler Art wie bereits manche seiner Zeitgenossen. Er hatte ein offenes Auge für alle Schätze der Weltliteratur. Daß die englische und schottische volkstümliche Balladendichtung unter den Deutschen bekannt wurde und unsere Literatur befruchtete, verdankt man ihm.
Er hatte für jede Form ausländischer Dichtung ein feines Organ. Durch ihn wurde sein gelehriger Schüler, das Haupt der Frühromantik, August Wilhelm Schlegel, der erste wahre Europäer auf dem Gebiete der deutschen Literatur. Wenn Schiller in einer berüchtigten Rezension von Bürgers Gedichten durch eine Verquickung von Kunst und Moral den Menschen Bürger, der immer frei und rückhaltlos sein Inneres allen Augen geöffnet hatte, ins Herz traf, so darf diese klassizistisch starre Position Schillers nicht verallgemeinert werden.
Bürger, der Dichter der „Lenore“ starb als Geächteter 1794 in Göttingen. Als einen zu früh Geschiedenen, dessen sinnlich leidenschaftlicher Charakter auch sein Schicksal war, haben ihn erst Spätere recht erkannt und als Schöpfer in seiner Bedeutung gewürdigt.