Literarische Zeitung, 23.8.1845

Gottfried August Bürger (in Auszügen)

Autor Anonym [1804]

Wenn Bürger von dem grössten seiner Kunstgenossen "im gewissen Sinn einzig" genannt worden ist, so getrauten wir uns nachzuweisen, dass dasjenige, wonach ihm ein solches Prädicat mit Recht zukommt, bis jetzt noch nicht genügend erkannt und hervorgehoben ist. Andrerseits wäre aber darzuthun, dass gerade die jetzige Zeit alle Ursache hätte, diese eine Tugend der Bürger'schen Poesie zu freier Nachahmung wieder in's Auge zu fassen. Wir machen kunstverständige Männer auf diese Arbeit einer ins Einzelne eingehende Beurtheilung aufmerksam und versuchen unsrerseits, in Betrachtung der Haupteigenschaften unsres Dichters den eigenthümlichen Vorzug seiner Poesie fühlbar zu machen und damit einer gründlichen Besprechung wenigstens vorzuarbeiten.
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Unsre Leser kennen das Verhältniss Bürger's zu Molly, die Quelle seiner Leiden und Freuden, seiner tiefsten Empfindungen und Erfahrungen.
  Wie wunderbar sah sich hier der Dichter verstrickt! Bezaubert von Jugend, Schönheit, inniger Anhänglichkeit, erschreckt und gefoltert von der Sünde, kämpfend ohne Sieg, sich aufrichtend, ohne entsagen zu können, wechselnd zwischen Himmel und Hölle, bis das Verhältniss durch den Tod der Gattin zur Weihe, durch den Tod der Geliebten zur Sühne gebracht wurde! Unsre Aufgabe ist hier nicht, dieses Verhältniss moralisch zu richten; wir haben es nur als Factum in seinen Wirkungen zu betrachten. Da müssen wir denn sagen, dass die Liebe, die glühende Leidenschaft, die Molly dem Dichter eingeflösst hatte, ihn Lieder singen liess, in denen er im eigentlichsten Verstande einzig und unübertrefflich ist; einzig im Ausdruck beglückter Liebe, einzig im Ausdruck des Kampfes und Schmerzes.
  Betrachten wir "das Mädel, das ich meine" und "Liebeszauber!" Die Worte sind hier schlicht und einfach, aber zugleich so wahr, so aus tiefstem Herzen gesprochen, dass man sagen möchte, was Lessing von Shakespeare's Romeo und Julia sagt: das hat die Liebe selbst gedichtet! In der That, es ist das herzlichste Glücksgefühl, die innigste und freudigste Bewunderung der Schönheit und Liebenswürdigkeit der Geliebten, welche diese Lieder eingegeben hat, und wir stehen nicht an, zu behaupten, dass auch die Liebeslieder Goethe's nicht so tief aus dem Gemüthe hervorgeholt sind, wie diese Bürger'schen. Viel weniger noch war Schiller zu solchen Weisen befähigt, daher er in seiner bekannten Recension unsern Dichter auch hier entschieden verkennt und das, was zu loben wäre, nicht nur nicht lobt, sondern tadelt.
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   Wir glauben hiermit den eigenthümlichen Vorzug der Bürger'schen Poesie für diejenigen, die individuelle Schönheit zu sehen und zu geniessen begabt sind, genügend charakterisiert zu haben. Es ist, um es nochmal zu sagen, der starke, frische, poetische Ausdruck der schlichten Herzlichkeit und der hingebenden Treue, die wir ächtdeutsch nennen müssen, obwohl sie in der neuern Zeit nur wenig zu Worte gekommen ist. Mit dieser Poesie ist aber Bürger ein Muster gerade für die gegenwärtige Zeit, die den herzlichen Ton beinahe ganz verloren hat und doch nur in i h m ihre höhern und ernstern Gegenstände wahrhaft verherrlichen kann. Glaube man nicht, dass wir unsern Dichter überschätzen! Es wird sich zeigen, dass wir seine geistigen und sittlichen Mängel genau zu sehen und zu richten wissen. Aber wohl dem Sänger, der höherer Leidenschaft, reinerer und reicherer Liebe denselben wahren und kraftvollen Ausdruck zu geben vermöchte, wie er Bürgern eigen war! Er würde der wahre Dichter der Gegenwart, der wahre Sänger des deutschen Volkes sein, aber zugleich auch der erste, der unserem B ü r g e r in allem, was ihm gelungen ist, volle Gerechtigkeit widerfahren liesse!
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Ueber diese erste Bürger'sche Romanze, die vielbesprochene "Lenore" nur wenige Worte. Der Dichter ist hier durchgängig in der tiefsten Empfindung der Situation geblieben, daher die Schilderungen und die kurzen Gespräche von einer Aechtheit sind, die uns immer auf's neue wieder Bewunderung ablockt. Das Gespräch zwischen Lenore und dem Reiter, der sie abholt, hat etwas nächtig Traumhaftes, der Ritt selber ist von wunderbarer Anschaulichkeit, mit den Schauern der Geisterwelt fühlbar und greiflich umgeben, und die Beziehung endlich zu dem strafenden Gott verleiht dem Ganzen Adel und wahrhaften Schluss.
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Die übrigen drei Romanzen können um nichts weniger zum Beweis dienen, wie ächt und lebendig Bürger den Volkston zu treffen wusste. Dieser Ton ist dem Dichter recht eigentlich gemäss und hat auch ohne Zweifel am meisten dazu beigetragen, ihn zum Lieblingsdichter seiner Zeit zu machen.
  Sollen wir nun über die Romanzen Bürger's im Allgemeinen unser Urtheil abgeben, so halten wir dafür, dass er, verglichen mit den beiden grössten unserer Dichter, vor Schiller die einfache volksmässige Darstellung, und vor Goethe, der ihm an Reichthum und Feinheit freilich auch in dieser Gattung überlegen ist, die markvolle Zeichnung voraus hat. Einzelne Stellen in diesen Gedichten sind übrigens der Art, dass sie nur mit Shakespeare'scher Poesie verglichen werden können.
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Auch den "grossen Mann" schildert Bürger treffend und würdig; und wenn wir zum Eingang gesagt finden:
   Es ist ein Ding, das mich verdreusst,
   Wenn Schwindel- oder Schmeichelgeist
   Gemeines Maas für grosses preist,
so muss eine solche Gesinnung in der gegenwärtigen Zeit, wo die Wortführer der beliebtesten Journale von einer wahren Wuth besessen sind, Mittelmässigkeiten zu vergöttern, gar eigen respectabel erscheinen. Sowohl in seinen frühern als spätern Producten finden wir den Ausdruck bürgerlichen Freisinnes und Freimuthes. Der Dichter schildert die Willkür der Tyrannei, stellt den Tyrannen zur Rede und nennt in einem Epigramm ein ganz gutes Mittel gegen "den Hochmuth der Grossen". Wie wir bei der Lectüre seiner Gedichte überhaupt oft Gelegenheit finden, an das nomen est omen zu denken, so zeigt er sich in politischen Dingen in der That als B ü r g e r, als aufgeklärten, biedern Mann, der für würdige freie Zustände eingenommen, aber freilich in politischer Erkenntniss nicht sehr weit und nicht im Stande ist, bestimmt anzugeben, wie es etwa kommen müsste.
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Doch genug! Wie sehr dies [z. B. Frau Schnips] und Anderes in Bürger's Gedichten zu tadeln sein mag, wie sehr wir ihm solche Irrungen des Geschmacks, namentlich in sonst guten und vortrefflichen Gedichten verdenken mögen - glücklich und begünstigt müssen wir denjenigen nennen, der in e i n e r Thätigkeit Muster geworden ist und Gebilde vollendet hat, die der Mitwelt und der Nachwelt zur Erquickung und Erhebung gereichen! Dies ist unserm Dichter vergönnt gewesen und mag als glänzender Ersatz betrachtet werden für die Irrthümer, zu denen er durch eine energische Natur und nicht weniger auch durch einen unglücklichen Lebensgang verleitet worden ist. Bürger war in seinen schönsten Dichtungen die Freude seiner Zeitgenossen, er wird immer die Freude derer bleiben, die für das ächte Gold der Poesie Sinn und Gemüth haben! Dies ist das Resultat unserer Betrachtung und soll denn auch über den Dichter unser letztes Wort sein.
 

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